Wer war Wilhelm Kaiser? Eine Biographie.

Wilhelm Kaiser

der "Kantigeist"

geboren am 23. Februar 1895 in Péry
gestorben am 29. April 1983 in Dornach

Text: Jan Schneider


Wilhelm Kaiser war Wissenschaftler, Anthroposoph, Pantheist und nicht zuletzt begeisterter Pädagoge. Nach der Primarschule und dem Lehrerseminar arbeitete er vorerst als Lehrer. Mit 23 Jahren hörte er zum ersten Mal Vorträge von Rudolf Steiner und war von der Anthropologie fasziniert. Da er Mathematik und Physik zuerst an der ETH Zürich und später an der Universität Bern mit dem zusätzlichen Nebenfach Biologie studierte, konnte er nicht zuletzt dank Rudolf Steiners Vorträgen seine pantheistische Weltbetrachtung, dass die Natur und Alles beseelt sei, in ein auf den Menschen ausgerichtetes System integrieren und seine Studien zu der Monadenlehre Leibniz’, des Urprinzips des bereits alles innehabenden Staubkorns, wissenschaftlich angehen. Wilhelm Kaiser, ein Naturforscher und Universalgenie, ein verkannter Wissenschaftler und Kreativer, ein Mensch, der die Welt mit anderen Augen sah. 
 

Die schummrigen Betonwände des Kantikellers in den Jahren 1956-1983 mussten für den anthroposophischen Astronomen nicht nur Projektionsfläche des bisher Erlebten und Errungenen gewesen sein, denn in diesen Räumen hielt er die geistes- und naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse fest, die für die Nachwelt aufbereitet werden mussten. Diese Zeit war einerseits von Stress geprägt, alles Mögliche noch in Worte zu fassen, andererseits von der Ausgrenzung in Wissenschaftskreisen und der Unmöglichkeit, im Alter für seine Erkenntnisse doch noch gewürdigt zu werden. Trotz ständiger finanzieller Schwierigkeiten aufgrund des Selbstverlags der meisten seiner Bücher war Willi, wie er von Freunden genannt wurde, ein weltoffener, positiver Zeitgenosse, der stets ein Leuchten in den Augen hatte, wenn er von seinem geozentrischen Weltbild erzählen konnte.

Kaisers Wohnort von 1956-1983: der Kantikeller

Quelle: Solothurner Zeitung

Kaisers Weltentheorie von der Erschaffung des Universums und damit der Erde muss dabei im Kontext der damaligen Physik und Astronomie, allen voran Albert Einstein mit seiner 1905 erschienenen Speziellen Relativitätstheorie sowie der 1916 postulierten Allgemeinen Relativitätstheorie, betrachtet werden. Kaiser waren diese Hypothesen zu wenig fassbar und er strebte nach einem Weltbild, das mit dem menschlichen «blossen Auge» sichtbar war. Für ihn galten abstrakte hypothetische Theorien als irrelevant, da der Mensch dadurch den Bezug zu seiner «beseelten» Realität und dem Menschsein verliere. Kaiser wollte wie Pestalozzi, dass der Mensch das Universum mit eigenen Augen sehe und über den Lauf der Gestirne staune.

Der Kosmos als Organismus:
Wilhelm Kaiser nahm als Vorbild für sein astronomisches Weltbild die "Blutströmungen in Lemniskatenform". Die Sonne bewegt sich am Himmel gleich wie das Blut im menschlichen Körper.

Tafel XVIII aus Kaiser, Wilhelm (1928): Die geometrischen Vorstellungen in der Astronomie. Versuch einer Charakteristik des Wahrheitsgehaltes astronomisch-mathematischer Aussagen. Basel: Rudolf Geering Verlag.

Kaiser akzeptierte zwar die Theorie des expandierenden Universums, allerdings betrachtete er die unendliche Ansammlung von Materie der Urknalltheorie als unsinnig und nahm stattdessen eine Art Urstrahlung an, den Äther, aus dem sich mittels Zentrifugal- und Zentripetalkraft das Sonnensystem und damit das Universum gebildet habe. Sämtliche von der Erde sichtbaren Sterne integrierte er in die «Fixsternsphäre», die eine feste Kugelschale um das Sonnensystem bildeten. Ausserdem kreise die Sonne um die Erde und um die Sonne kreisten die Planeten. So konnte sich Kaiser die konzentrischen Kreise der Planeten am nächtlichen Himmel erklären.  

Himmelskreise:
Wilhelm Kaiser erklärt sich die konzentrischen Kreise des Planetenlaufs mit dessen Korrelation um die Sonne, die sich wiederum um die Erde dreht.

Der Lauf der Gestirne um die Erde. In: Kaiser, Wilhelm (1966): Mathematisch-astronomische Beiträge zu einer wirklichkeitsgemässen Kosmologie. Selbstverlag. Bern: Stämpfli & Cie (Druck). 

Die Idee eines allumfassenden  «Äthers» ist dabei gar nicht mal so weit hergeholt, zumal die aktuelle Physik noch immer von einer «Hintergrundstrahlung» und «dunkler Materie» spricht, womit unser Universum durchtränkt sei. Kaiser geht die Entstehung des Sonnensystems allerdings völlig anders an. Wohingegen die Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts die Entstehung der Erde vor allem aus der vulkanistischen und neptunischen Warte betrachtet, wählt Wilhelm Kaiser einen neuen Weg und als Prämisse des Ursprungs die Elemente Luft und Erde. Am Anfang herrschte ein ätherhaftes Universum, wobei sich die Luft zusammengeballt habe und daraus unser Sonnensystem entstanden sei.

Die Fixsternsphäre (Saturnsphäre)
Wilhelm Kaiser betrachtet die Sterne als gleich weit von der Erde entfernt in einer "Fixsternsphäre".

In: 

 Kaiser, Wilhelm (1966): Mathematisch-astronomische Beiträge zu einer wirklichkeitsgemässen Kosmologie. Selbstverlag. Bern: Stämpfli & Cie (Druck). 

Nicht zu vernachlässigen ist der ästhetisch-symmetrische Gesichtspunkt Kaisers in der Systematisierung wissenschaftlicher Theorien: Nicht nur sei ALLES beseelt, sondern besitze eine inhärente Symmetrie, die sich durch die Systematisierung innerhalb von regelmässigen geometrischen Körpern äussere. Kaiser ordnet unterschiedlichste Aspekte des Menschenwesens, des Kosmos oder der Planetenbahnen symmetrisch-kongruenten Figuren zu und beschreibt sowohl den Lauf der Planeten, der Sonne und Sterne als auch die menschlichen Gemütszustände und Sinne ästhetisch in diese platonischen Körper ein. 

Die Wirkung der unterschiedlichen Ätherformen auf die Sinnesprozesse des Menschen.

Sinnesprozesse und Ätherformen
In:  Kaiser, Wilhelm (1930): Kosmos und Menschenwesen im Spiegel der platonischen Körper. Von Dr. Wilhelm Kaiser. Mit 14 blattgrossen Figurentafeln. Basel: Verlag von Rudolf Geering. Tafeln im Anhang des Werkes. 

Nichtsdestotrotz war Wilhelm Kaiser ein liebender, leidender und faszinierter Mensch, der Jahre seines Lebens im «neuen» Luftschutzkeller der Kantonsschule lebte, abgeschottet von der Aussenwelt, seine wissenschaftliche Kreativität an die dunklen grauen Wände projizierend, ein Träumer und nicht zuletzt ein Mensch, der sein Lebenswerk für die Nachwelt zugänglich machen wollte. Ein Grund, dass der Nachlass in der Zentralbibliothek minutiös in von Kaiser geordneten Kisten aufbewahrt wird. Die einzelnen Briefe, Tagebücher, wissenschaftlichen Schriften, Programmblätter von Veranstaltungen im Goetheanum und selbst die Steuererklärungen sind ordentlich verstaut, nach Grösse der Dokumente geordnet, teilweise nach Jahreszahlen. Wilhelm Kaiser hat auf jedes seiner Blätter das Datum geschrieben, wie ein chaotisches Tagebuch, das nur darauf wartet, entschlüsselt zu werden. 

Notizen zu den Sinnen und hoffnungsvoller "Aufbaubrief" des verschuldeten, aber voller Elan arbeitenden Wilhelm Kaiser.

In: Kaiser, Wilhelm: Nachlass in der Zentralbibliothek Solothurn. Signatur: NL KA W "a" (HAN-Aufnahme 000178820).

Wilhelm Kaiser mit seiner Frau Helena Wajdzik kurz vor seinem Tod in Dornach. Quelle: Zentralbibliothek Solothurn Nachlass

Mehr zu Kaisers Biografie....

...finden Sie in "Kantigeist" (Shop):
Elena, Emilija, Mirela: Wer war Wilhelm Kaiser? (Seiten 6-7)